Kohle war nicht alles...

VHS-Geschichtswerkstatt Werne

Kohle war nicht alles...

ISBN 978-3-929158-10-6
Bestellnr.: 00-10
84 Seiten, Format 21x20 cm,
57 sw-Abb., fester Einband
EUR 14,95 UVP




Ausgezeichnet beim "4. Wettbewerb zur Geschichte im Ruhrgebiet" vom "Forum Geschichtskultur an Ruhr und Emscher e.V."


Bilder und Geschichten aus 100 Jahre Bergbau in Werne

Mit der Zeche Werne und dem Nordfeld des Bergwerkes Haus Aden war Werne für lange Jahre Bergbaustadt. Ehemalige Bergleute und ihre Angehörigen erinnern mit ihren Geschichten, die in einem VHS-Seminar aufgeschrieben wurden, an dieses unwiderruflich abgeschlossene Kapitel der Werner Stadtgeschichte. Komplettiert wird dieses Buch durch einen historischen Abriß und zahlreiche Abbildungen.


LESEPROBE :


Von Paterlatschen und Schienenhobeln
Manfred Ogrissek - Besinnliches über die Zeche Werne

Der zweite Weltkrieg hatte über die Menschen ein unvorstellbares Leid gebracht und war für viele mit einschneidenden Veränderungen verbunden. Es gab wohl nicht eine Familie, die keinen Toten zu beklagen hatte. Auch mein Vater und drei seiner vier Brüder wurden Opfer dieser Grausamkeit. Selbst ich durfte meinen 16. Geburtstag, im August 1944, in Polen beim Schanzen verbringen, was bedeutete, Panzer und Schützengräben auszuheben, um die sowjetische Armee aufhalten zu können.
Nach Flucht, Einberufung zum Reichsarbeitsdienst, Kriegsende und kurzer amerikanischer Gefangenschaft landete ich wieder im Arbeitsdienststandort Thannhausen, Kreis Krumbach in Schwaben, um bei einem Gärtner für Unterkunft, Verpflegung und 15 Reichsmark monatlich zu arbeiten.
Auf Drängen meines damaligen Arbeitskollegen wechselten wir Mitte Oktober 1945 von Süddeutschland nach Westfalen. Nach einer abenteuerlichen Bahnfahrt in drei Tagesetappen, da der Verkehr während der nächtlichen Sperrstunde von 22:00 bis 6:00 Uhr ruhte, kamen wir an einem neblig-grauen Tag auf dem Bahnhof Bergkamen an. Zu Fuß ging es an Fördertürmen, qualmenden Halden und Nissenhütten (halbrunde Wellblechbaracken) vorbei, die ich zum ersten Mal und dazu noch aus nächster Nähe zu Gesicht bekam, zum Nachbarort Rünthe in die Stichstraße Nr. 3.
Mein Kollege, der hier Verwandte hatte, erhoffte sich andere Arbeit, Unterkunft und Nachrichten von seinen Angehörigen. Wurden seine Erwartungen teilweise erfüllt, endete die Fahrt für mich mit einer Ernüchterung, denn die wohl 75 m2 Wohnraum waren schon mit 11 Personen belegt.
Was nun? Glück im Unglück hatte ich, als ich mit meinen Gedanken in den kleinen Hof hinter dem Doppelhaus trat und vom Nachbarn Josef Mertens und seiner Frau Josefine zu sich in die Wohnung eingeladen wurde. Sie eröffneten mir, daß ihr ältester Sohn auch ein Opfer des Krieges geworden war und der jüngere als Wehrmachtsangehöriger vielleicht auch wie ich herumirre und sie mich aufnehmen wollten. Natürlich war es mir recht, und wie recht, beweist, daß ich anderthalb Jahre fast wie ein Sohn aufgenommen war.
Wegen Arbeit mußte ich das Arbeitsamt in Kamen aufsuchen, wo mir eröffnet wurde, daß ich als Inhaber eines Entlassungsscheines aus einem Gefangenenlager nach einer Woche „Erholung", erstmal für ein halbes Jahr in den Bergbau dienstverpflichtet würde. Übrigens eine bewährte Methode, die auch im „Dritten Reich" ausreichend praktiziert wurde.
Zu dem Einstellungsgespräch auf der Zeche Werne I/II begleitete mich mein Quartiervater, der hier als Grubenschlosser tätig war und auch beim Obersteiger Stegemann seine Vorstellungen betreffs meiner Arbeit durchsetzte. Ich dagegen hatte meine Bedenken, da er fast andauernd mit dem Kopf verneinende Bewegungen machte, was aber von einer Nervenerkrankung herrührte, was ich erst später erfuhr.
So durfte ich am 25.10.1945 meine Untertagetätigkeit als Schlepper am Schacht beginnen. Mein erster Schichtlohn betrug ganze 3,48 Reichsmark.
Es war der größte Einschnitt in meinem Leben, denn wie nicht anders zu erwarten war, brachen bei meiner ersten Schicht unter Tage enorme Eindrücke auf mich herein. Brauchte ich in der ersten Schicht, an einem Donnerstag, nur staunend zu gucken, hatte die zweite und dritte ihre ersten Auswirkungen. Das Anknebeln der Förderwagen, wovon viele längere Zeit über Tage gestanden hatten und so deren Knebel erheblich verrostet waren, bereitete mir Probleme.
An spezielle Handwaschmittel war damals noch nicht zu denken, und so waren meine Hände trotz intensiven Waschens immer noch dreckigbraun. So kam es, daß ich am Sonntag auf der ersten Simon-Judas-Kirmes meines Lebens die Hände fast ausschließlich in den Hosentaschen versenkt hatte, um bei den Mädchen keinen schlechten Eindruck zu erwecken.
Mit dem älteren Kumpel, Bernhard Hölscher aus Capelle, nur Bän genannt, dem ich anvertraut war, habe ich mich auf Anhieb gut verstanden. Das heißt menschlich, sprachlich gab es mit dem Münsterländer Platt Schwierigkeiten, da er das Hochdeutsch, so gut es ging, vermied. Als Kötter vom Dorf war er „Selbstversorger", was hieß, daß die Abschnitte über die geringen Mengen Fett, Fleisch, Milch und Brot auf seiner Lebensmittelkarte ausgespart waren. So waren seine Butterbrote mit selbstgebackenem Brot und Hausmacherwurst für mich ein Traum.
Obwohl wir vor der Anfahrt zwei Doppelschnitten erhielten, wobei die ausgebenden Frauen noch darauf achteten, wenn einer von uns jungen Burschen dran war, daß der zusätzlich das Knäppchen, das Endstück, bekam, konnte ich noch ein Butterbrot von seinen mit Hochgenuß verzehren, sofern sein Appetit mal eines für mich überließ. Ja, mitunter wünschte ich mir, daß sein Appetit viel öfter mal etwas geringer wäre.
Auch nach der Ausfahrt bekamen wir für damalige Verhältnisse ein schmackhaftes warmes Essen.
Die Arbeitskleidung, meist Drillichzeug der ehemaligen Wehrmacht, wurde von der Zeche gestellt und in Monatsraten abgehalten. Mein Arbeitseinkommen reduzierte sich dabei so, daß ich das monatliche Kostgeld anfangs nicht voll bezahlen konnte.
Um für ein Paar neue Arbeitsschuhe einen Bezugsschein zu bekommen, mußte man ein altes zerschlissenes Paar abgeben. Da ich aber kein derartiges Paar besaß, mußte ich die ersten Wochen in meinen Straßenschuhen vom Barras, denen ich die Zwecken gezogen hatte, arbeiten. Für mich bedeutete es, daß ich nach der Schicht in der Kaue erst meine Schuhe mit einem Hosenbein der Arbeitshose für den Nachhauseweg putzen mußte.
Aber schon in den ersten Monaten mußte ich erfahren, daß die Arbeit unter Tage brutal ihre Opfer forderte. Während ich mir bei einem entgleisenden Förderwagen das linke Handgelenk brach, erwischte es einen ebenfalls jungen Kumpel von mir bei einer anderen Gelegenheit tödlich. Auch bei einem Fahrsteiger, der in der Bahn gestanden hatte, mußte ich mit ansehen, wie er durch von hinten herankommende Lesebergewagen (Leseberge = von Hand ausgelesene Steine) überrollt wurde und es mit dem Leben bezahlen mußte.
Bis zum 18. Lebensjahr mußte jeder Jugendliche der Schachtanlage die Zechenberufsschule besuchen, was für mich immer ein Erholungstag war. Vor allem Zeichnen bereitete mir über-haupt keine Probleme, da ich schon bei den Quartiersleuten, mangels anderer Beschäftigungen, diesem Hobby frönte, sofern weißes Papier erhältlich war. So kam es auch, daß ich in der Berufsschule die Zeichenarbeiten in kürzester Zeit fertig hatte und so einmal unseren Lehrer Blume malte.
Das Porträt war wirklich gut gelungen, und als ich es noch mal mit dem Modell vergleichen wollte, saß zu meinem Erstaunen "Unser Pauker", wie ich es betitelt hatte, nicht mehr am Pult. Statt dessen kam von hinten über meine Schulter eine Hand und nahm das nur postkartengroße Bildchen mit dem Wort: "Schön!" an sich und "das gehört jetzt mir" kam noch hinterher. ....

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